Maya Minder, Kuratorin und Künstlerin, schreibt über die Lithografien "Cellula"
Cellula von Sabine de Spindler
Sabine de Spindler kreiert mit der Arbeit „Cellula“ eine Serie von Lithographien, bei denen ein ovaler Ring mittels Flachdruckverfahren mehrfach auf ein Blatt gedruckt wird. Jedes der entstandenen Werke ist trotz Reproduktionstechnik ein Unikat, da de Spindler den Lithostein ohne Abmessung oder Justierung jedes Mal intuitiv neu ansetzt. Die Tatsache, dass derselbe Stein wieder und wieder angewendet wird, ist als technisches Mittel Träger und Gestalter für die inhaltliche Kernmessage des Werkes.
de Spindler verriet mir, dass „Cellula“ eine Referenz auf das Zitat „Omnis cellula e cellula“ ist. Übersetzt bedeutet es, „Jede Zelle stammt aus einer bereits existierenden Zelle“. Der Leitspruch aus der Zellbiologie stammt aus dem 19. Jahrhundert und fasst zusammen, was heute die allgemeine Zelltheorie in ihrer Essenz ausmacht. Diese Erkenntnis beinhaltet die folgenden drei Grundsätze; 1. Alle Lebewesen stammen von Zellen (egal ob Pflanze oder Tier). 2. Jede Zelle entsteht stets aus einer anderen Zelle durch Zellteilung. 3. Es gibt kein zufälliges Entstehen von Zellen und folglich allem Leben. Alles entstammt aus dem was in uns steckt.
Heutzutage scheinen diese Dogmen selbstverständlich zu sein, aber für den Menschen vor jener Zeit, also zu Beginn der modernen Medizinwissenschaft, beinhaltete dieses Wissen ein Bruch mit seinem tausend jährigen bestehenden Weltbild. So glaubte man beispielsweise, dass Fliegen aus verdorbenem Fleisch entstehen, Frösche aus dem Teichboden herauswachsen, oder ein Pferdehaar im Wasser zum Wurm werde. Langsam klärte sich das Unwissen in den breiten Massen auf, und heute akzeptiert man, dass alles was existiert, nur aus Existierendem entstehen kann.
Sabine de Spindler überträgt diese Selbstverständlichkeit auf das Leben und in ihre Kunst. Sie erkennt darin, dass alles, was man tut, aus dem Innern des eigenen Wesens stammt oder eben im unendlichen Universum des Zellkerns verstrickt ist. Wissen, das in Form von transkribiertem Kodex von Generation zu Generation weitergegeben wird, liegt tief im Innern des Subjekts und lässt sich in der Auslegung doch mannigfaltig vervielfältigen.
In de Spindlers Arbeit erkennt man ein Spiel zwischen Zufall und Absicht. Die Hand, die ausführt, wird vom Kopf gesteuert. Der Mensch vermisst sich seine Umwelt mit seiner Ratio. de Spindlers Versuch, der Intuition wieder mehr Platz zu geben, äussert sich darin, dass sie während ihres Arbeitsprozesses dem Zufälligen und Unterbewussten mehr Gestaltungsraum verschafft. Die schöpferische Geste steht zwischen dem Medium und dem Bewusstsein des Künstlers. Die Hand führt aus und ist dennoch gelöst von der bewusst gesteuerten Handlung. Zwischen der Automatik der Handlung und dem unterbewussten Tun führt eine dünne Linie, der sich de Spindler ganz bewusst widmet, um dem innerlich Verborgenen auf die Spur zu kommen.
de Spindler bewegt sich mit ihrer Arbeit zwischen den Gegensätzen der bewussten Intention und der passiven Zurückhaltung, dem aktiv Gesteuerten und dem unkalkulierbar Unbewussten. Kräfte, die sich in Pendelbewegung abtauschen, wie das Leben selbst. Je mehr der Mensch auf sich hören mag, desto tiefer eröffnen sich ihm die Pforten. Alle Zellen werden aus einer Zelle geboren. Vertrauen auf das Innere, bereits Bestehende.
Maya Minder