Text im Zuger Neujahrsblatt 2021 zum Werk "Alles hängt mit allem zusammen".
Seit ein paar Jahren hat Sabine de Spindler das Spazieren für sich entdeckt.
Das absichtslose Gehen in der Natur mit zwanglos umherschweifendem Blick erdet und
erfüllt sie. Beim Spazieren geraten ihre Sinne angeregt durch den gleichmässigen Rhythmus
des Gehens in einen schwebenden und gleichzeitig äusserst wachen und aufmerksamen
Zustand innerer wie auch äusserer Wahrnehmung. Die Achtsamkeitshaltung gegenüber dem
Leben selbst wird beflügelt.
Sabine de Spindler beginnt, ihre visuellen ästhetischen Erfahrungen, die sie beim Gehen
gesammelt hat, im Atelier in einen künstlerischen Prozess einfliessen zu lassen. Ästhetische
Erfahrungen sind ephemer. Man kann sie erinnern, aber in ihrer Ganzheit nicht festhalten.
Beim Malen und Zeichnen kommt eine neue Dimension dazu und bringt das Gesehene und
Empfundene auf eine weitere Ebene. Sabine de Spindler liebt es, beim Gestalten in der
Gleichzeitigkeit von Vorstellung und Handeln zu Überraschungen und neuen Formen zu
finden. Der Spaziergang geht sozusagen auf dem Blatt weiter.
Das zugeloste Pigment «Menzinger Steinkohle» in seiner samtigen Wärme klingt bei der
Künstlerin sehr an und bringt erstaunliche Zusammenhänge mit ihrem bisherigen Werk zum
Vorschein: Auf spontanen Handyfotos, die während Sabine de Spindlers Spaziergängen
entstanden sind, erscheinen immer wieder die wundervoll geschwungenen Formen von
Pilzen an abgestorbenen Bäumen. Diese Formen regen die Künstlerin zunächst zu Pinselund
Kohlezeichnungen, später dann auch zu grossformatigen Werken mit dem erhaltenen
Pigment der Menzinger Steinkohle an. Es geht ihr nicht um ein Abbild der Pilze, sondern um
ein Erfassen des Wesens dieser Linien und Formen und um ein Transferieren des
ästhetischen Erlebnisses in eine Form. Die differenzierte, einfühlsame Linienführung
versucht die Wahrnehmung in ihrer Ganzheit einzufangen und sie gleichzeitig weiter zu
entwickeln. In ihrer Recherche erfährt Sabine de Spindler, dass solche Weissfäulepilze das
tote Holz zersetzen und somit verhindern, dass sich daraus dereinst Kohle bilden kann. Hier
schliesst sich der Kreis. Indem sich Sabine de Spindler während dem Malen und Zeichnen mit
Menzinger Steinkohle von einer Form verführen lässt, die dieses Pigment eigentlich
verhindert hätte, nimmt sie mit dem Hauch Ihrer Wahrnehmung den Traum von
Möglichkeiten ohne Vergangenheit und Zukunft auf und schlägt der Chronologie des Lebens
ein Schnippchen. Alles hängt mit allem zusammen.