Leila Mebert schreibt über die Arbeiten "IN THE WOODS"
Sabine de Spindler - IN THE WOODS
I like to imagine that art was born this way, millions of years ago: a hand finding a tree branch near a cave, a rock face, a smooth, uneven boulder. A scorched, insignificant branch that once belonged to a majestic tree. That hand instinctively lifts the branch and again instinctively draws lines on the cave wall. A simple horizontal line or perhaps vertical. Or both together. The ultimate synthesis of the human figure. The first abstract transposition of the real world. The first attempt to understand who we are.
Or it's a game, like Paul Klee telling his Bauhaus students, take a line for a walk. So did the the hand. It drew a line and let the line follow its path without any narrative or intention.
Then the purity of that line was lost. Its essentiality and synthesis became deities, heroes, athletes, gods, mythological figures, madonnas, christs, saints, suffering faces, bloody battles, still lifes, naked bodies, erotic games.
Yet that line, the beginning of the whole, is within us. It is an archetype. Alberto Giacometti knew this all too well when he drew hundreds of lines to create what he saw. The walls of his studio were full of lines, long, short, barely hinted at, etched, hollowed out, drawn with force, with gentleness, with the torment of obsession. Primordial graffiti that expressed his worldview.
Sabine de Spindler took that line and brought it to life. And she did it in the simplest and most direct way: she opened the doors of her studio and literally moved it into the forest to allow the visual and physical experience to have an even more direct effect on the creative process. She went there where it all began, inside a forest, inside nature.
And when man confronts The Nature he soon realizes the smallness of his ego and the grandeur of everything around him.
Great because it is devoid of ego. Trees and the smallest creatures become ancient masters who accept everything unconditionally because they are part of the whole. Man's ego cannot help but bend before this iridescent miracle, and Sabine knows it well. Leaving the intellectual comfort of the studio to paint in nature means first of all letting oneself be surprised, suspending the mind and opening oneself to the changing forms and aesthetic experiences.
Sabine does not want to represent the tree, an objective mental entity, Sabine wants to represent the aesthetic experience of being among trees because the tree is a human invention. He, the tree, does not know he is. It simply is. And it's right there in nature that you sense these things, that you begin to suspect that maybe what we see is not what we know.
Through the use of the mirror, which killed Narcissus because he wanted to grasp and possess that perfect figure he saw reflected in it, Sabine is able to translate the movements of branches and leaves. Not branches and leaves then, but their movement, their essence, their being always in unison with nature. The mirror that captured that moment does not imprison it because its surface will always reflect something different along with those lines that are drawn on it. Those lines that Sabine's hand quickly drew, without the mediation of the mind, will intersect with the sky, with a face, with a door, with a hand, with everything that will be reflected in that mirror. Nature and the face of the beholder. It's as if the mirror becomes a platform where you can finally experience and see unity, this being together, a one.
A window in which both sides dialogue. The design on glass leaves a large amount of surface and space free. There is no planning, the space appears and is like silence. It does not want to be filled. As in music. What would a symphony be without the space between the notes? Space to breathe. So Sabine defines it. Space to look through. Space to reflect and be reflected.
And then we understand that there is no inside and there is no outside, no before or after, no up and down. But that everything carves out its own visual landscape in the universe, that everything mirrors the universe, is MIMESIS of the whole universe. Sabine said in an interview that she doesn't want to focus on fleetingness but on presence. I would argue that she has even gone beyond that. Sabine encapsulates in her lines on a mirror surface, not only presence but eternal becoming. The moment and eternity.
Are they not the same thing?
Leila Mebert, June 2024
DEUTSCHE ÜBERSETZUNG:
Sabine de Spindler - IN THE WOODS
Ich stelle mir gerne vor, dass die Kunst auf diese Weise entstanden ist, vor Millionen von Jahren: Eine Hand fand einen Ast in der Nähe einer Höhle, einer Felswand, eines glatten, unebenen Felsblocks. Ein verbrannter, unbedeutender Ast, der einst zu einem majestätischen Baum gehörte. Diese Hand hebt instinktiv den Ast auf und zeichnet wiederum instinktiv Linien an die Höhlenwand. Eine einfache horizontale Linie oder vielleicht eine vertikale. Oder beides zusammen. Die ultimative Synthese der menschlichen Figur. Die erste abstrakte Umsetzung der realen Welt. Der erste Versuch zu verstehen, wer wir sind.
Oder es ist ein Spiel, so wie Paul Klee seinen Bauhaus-Schülern sagte, sie sollten eine Linie spazieren führen. Das tat auch die Hand. Sie zeichnete eine Linie und ließ die Linie ihrem Weg folgen, ohne jegliche Erzählung oder Absicht.
Dann ging die Reinheit der Linie verloren. Ihre Wesentlichkeit und Synthese wurde zu Gottheiten, Helden, Athleten, Göttern, mythologischen Figuren, Madonnen, Christen, Heiligen, leidenden Gesichtern, blutigen Schlachten, Stillleben, nackten Körpern, erotischen Spielen.
Doch diese Linie, der Anfang des Ganzen, ist in uns. Sie ist ein Archetyp. Alberto Giacometti wusste das nur zu gut, als er Hunderte von Linien zeichnete, um das zu schaffen, was er sah. Die Wände seines Ateliers waren voll von Linien, langen, kurzen, kaum angedeuteten, geätzten, ausgehöhlten, mit Kraft, mit Sanftheit, mit der Pein der Besessenheit gezeichneten. Ursprüngliche Graffiti, die seine Weltanschauung zum Ausdruck brachten.
Sabine de Spindler hat diese Linie zum Leben erweckt. Und sie tat es auf die einfachste und direkteste Weise: Sie öffnete die Türen ihres Ateliers und verlegte es buchstäblich in den Wald, damit die visuelle und physische Erfahrung einen noch direkteren Einfluss auf den kreativen Prozess haben konnte. Sie ging dorthin, wo alles begann, in einen Wald, in die Natur.
Und wenn der Mensch mit der Natur konfrontiert wird, erkennt er bald die Kleinheit seines Egos und die Großartigkeit von allem, was ihn umgibt.
Groß, weil es ohne Ego ist. Bäume und die kleinsten Lebewesen werden zu alten Meistern, die alles bedingungslos akzeptieren, weil sie Teil des Ganzen sind. Das Ego des Menschen kann nicht anders, als sich vor diesem schillernden Wunder zu beugen, und Sabine weiß das sehr wohl. Die intellektuelle Bequemlichkeit des Ateliers zu verlassen, um in der Natur zu malen, bedeutet vor allem, sich überraschen zu lassen, den Verstand auszuschalten und sich den wechselnden Formen und ästhetischen Erfahrungen zu öffnen.
Sabine will nicht den Baum darstellen, eine objektive geistige Entität, Sabine will die ästhetische Erfahrung des Seins unter Bäumen darstellen, denn der Baum ist eine menschliche Erfindung. Er, der Baum, weiß nicht, dass er ist. Er ist einfach da. Und genau dort, in der Natur, spürt man diese Dinge, beginnt man zu ahnen, dass das, was wir sehen, vielleicht nicht das ist, was wir wissen.
Mit Hilfe des Spiegels, der Narziss tötete, weil er die vollkommene Gestalt, die er in ihm reflektiert sah, ergreifen und besitzen wollte, kann Sabine die Bewegungen der Äste und Blätter übersetzen. Nicht Zweige und Blätter also, sondern ihre Bewegung, ihr Wesen, ihr Sein, das immer im Einklang mit der Natur steht. Der Spiegel, der diesen Moment eingefangen hat, hält ihn nicht fest, denn seine Oberfläche wird immer etwas anderes reflektieren, zusammen mit den Linien, die auf ihm gezeichnet sind. Die Linien, die Sabines Hand schnell und ohne die Vermittlung des Verstandes gezogen hat, werden sich mit dem Himmel, mit einem Gesicht, mit einer Tür, mit einer Hand, mit allem, was sich in diesem Spiegel widerspiegelt, kreuzen. Die Natur und das Gesicht des Betrachters. Es ist, als ob der Spiegel zu einer Plattform wird, auf der man endlich die Einheit erleben und sehen kann, dieses Zusammensein, ein Eins.
Ein Fenster, bei dem beide Seiten miteinander in Dialog treten. Die Gestaltung auf Glas lässt einen großen Teil der Fläche und des Raums frei. Es gibt keine Planung, der Raum erscheint und ist wie Stille. Er will nicht gefüllt werden. Wie in der Musik. Was wäre eine Sinfonie ohne den Raum zwischen den Noten? Raum zum Atmen. So definiert es Sabine. Raum zum Durchschauen. Raum, um zu reflektieren und reflektiert zu werden.
Und dann verstehen wir, dass es kein Innen und kein Außen gibt, kein Vorher und Nachher, kein Oben und Unten. Sondern dass alles seine eigene visuelle Landschaft im Universum entwirft, dass alles das Universum spiegelt, MIMESIS des ganzen Universums ist. Sabine sagte in einem Interview, dass sie sich nicht auf die Vergänglichkeit, sondern auf die Präsenz konzentrieren will. Ich würde sagen, sie ist sogar darüber hinausgegangen. Sabine kapselt in ihren Linien auf einer Spiegelfläche nicht nur Präsenz, sondern ewiges Werden ein. Der Augenblick und die Ewigkeit.
Ist das nicht ein und dasselbe?
Leila Mebert, Juni 2024
I like to imagine that art was born this way, millions of years ago: a hand finding a tree branch near a cave, a rock face, a smooth, uneven boulder. A scorched, insignificant branch that once belonged to a majestic tree. That hand instinctively lifts the branch and again instinctively draws lines on the cave wall. A simple horizontal line or perhaps vertical. Or both together. The ultimate synthesis of the human figure. The first abstract transposition of the real world. The first attempt to understand who we are.
Or it's a game, like Paul Klee telling his Bauhaus students, take a line for a walk. So did the the hand. It drew a line and let the line follow its path without any narrative or intention.
Then the purity of that line was lost. Its essentiality and synthesis became deities, heroes, athletes, gods, mythological figures, madonnas, christs, saints, suffering faces, bloody battles, still lifes, naked bodies, erotic games.
Yet that line, the beginning of the whole, is within us. It is an archetype. Alberto Giacometti knew this all too well when he drew hundreds of lines to create what he saw. The walls of his studio were full of lines, long, short, barely hinted at, etched, hollowed out, drawn with force, with gentleness, with the torment of obsession. Primordial graffiti that expressed his worldview.
Sabine de Spindler took that line and brought it to life. And she did it in the simplest and most direct way: she opened the doors of her studio and literally moved it into the forest to allow the visual and physical experience to have an even more direct effect on the creative process. She went there where it all began, inside a forest, inside nature.
And when man confronts The Nature he soon realizes the smallness of his ego and the grandeur of everything around him.
Great because it is devoid of ego. Trees and the smallest creatures become ancient masters who accept everything unconditionally because they are part of the whole. Man's ego cannot help but bend before this iridescent miracle, and Sabine knows it well. Leaving the intellectual comfort of the studio to paint in nature means first of all letting oneself be surprised, suspending the mind and opening oneself to the changing forms and aesthetic experiences.
Sabine does not want to represent the tree, an objective mental entity, Sabine wants to represent the aesthetic experience of being among trees because the tree is a human invention. He, the tree, does not know he is. It simply is. And it's right there in nature that you sense these things, that you begin to suspect that maybe what we see is not what we know.
Through the use of the mirror, which killed Narcissus because he wanted to grasp and possess that perfect figure he saw reflected in it, Sabine is able to translate the movements of branches and leaves. Not branches and leaves then, but their movement, their essence, their being always in unison with nature. The mirror that captured that moment does not imprison it because its surface will always reflect something different along with those lines that are drawn on it. Those lines that Sabine's hand quickly drew, without the mediation of the mind, will intersect with the sky, with a face, with a door, with a hand, with everything that will be reflected in that mirror. Nature and the face of the beholder. It's as if the mirror becomes a platform where you can finally experience and see unity, this being together, a one.
A window in which both sides dialogue. The design on glass leaves a large amount of surface and space free. There is no planning, the space appears and is like silence. It does not want to be filled. As in music. What would a symphony be without the space between the notes? Space to breathe. So Sabine defines it. Space to look through. Space to reflect and be reflected.
And then we understand that there is no inside and there is no outside, no before or after, no up and down. But that everything carves out its own visual landscape in the universe, that everything mirrors the universe, is MIMESIS of the whole universe. Sabine said in an interview that she doesn't want to focus on fleetingness but on presence. I would argue that she has even gone beyond that. Sabine encapsulates in her lines on a mirror surface, not only presence but eternal becoming. The moment and eternity.
Are they not the same thing?
Leila Mebert, June 2024
DEUTSCHE ÜBERSETZUNG:
Sabine de Spindler - IN THE WOODS
Ich stelle mir gerne vor, dass die Kunst auf diese Weise entstanden ist, vor Millionen von Jahren: Eine Hand fand einen Ast in der Nähe einer Höhle, einer Felswand, eines glatten, unebenen Felsblocks. Ein verbrannter, unbedeutender Ast, der einst zu einem majestätischen Baum gehörte. Diese Hand hebt instinktiv den Ast auf und zeichnet wiederum instinktiv Linien an die Höhlenwand. Eine einfache horizontale Linie oder vielleicht eine vertikale. Oder beides zusammen. Die ultimative Synthese der menschlichen Figur. Die erste abstrakte Umsetzung der realen Welt. Der erste Versuch zu verstehen, wer wir sind.
Oder es ist ein Spiel, so wie Paul Klee seinen Bauhaus-Schülern sagte, sie sollten eine Linie spazieren führen. Das tat auch die Hand. Sie zeichnete eine Linie und ließ die Linie ihrem Weg folgen, ohne jegliche Erzählung oder Absicht.
Dann ging die Reinheit der Linie verloren. Ihre Wesentlichkeit und Synthese wurde zu Gottheiten, Helden, Athleten, Göttern, mythologischen Figuren, Madonnen, Christen, Heiligen, leidenden Gesichtern, blutigen Schlachten, Stillleben, nackten Körpern, erotischen Spielen.
Doch diese Linie, der Anfang des Ganzen, ist in uns. Sie ist ein Archetyp. Alberto Giacometti wusste das nur zu gut, als er Hunderte von Linien zeichnete, um das zu schaffen, was er sah. Die Wände seines Ateliers waren voll von Linien, langen, kurzen, kaum angedeuteten, geätzten, ausgehöhlten, mit Kraft, mit Sanftheit, mit der Pein der Besessenheit gezeichneten. Ursprüngliche Graffiti, die seine Weltanschauung zum Ausdruck brachten.
Sabine de Spindler hat diese Linie zum Leben erweckt. Und sie tat es auf die einfachste und direkteste Weise: Sie öffnete die Türen ihres Ateliers und verlegte es buchstäblich in den Wald, damit die visuelle und physische Erfahrung einen noch direkteren Einfluss auf den kreativen Prozess haben konnte. Sie ging dorthin, wo alles begann, in einen Wald, in die Natur.
Und wenn der Mensch mit der Natur konfrontiert wird, erkennt er bald die Kleinheit seines Egos und die Großartigkeit von allem, was ihn umgibt.
Groß, weil es ohne Ego ist. Bäume und die kleinsten Lebewesen werden zu alten Meistern, die alles bedingungslos akzeptieren, weil sie Teil des Ganzen sind. Das Ego des Menschen kann nicht anders, als sich vor diesem schillernden Wunder zu beugen, und Sabine weiß das sehr wohl. Die intellektuelle Bequemlichkeit des Ateliers zu verlassen, um in der Natur zu malen, bedeutet vor allem, sich überraschen zu lassen, den Verstand auszuschalten und sich den wechselnden Formen und ästhetischen Erfahrungen zu öffnen.
Sabine will nicht den Baum darstellen, eine objektive geistige Entität, Sabine will die ästhetische Erfahrung des Seins unter Bäumen darstellen, denn der Baum ist eine menschliche Erfindung. Er, der Baum, weiß nicht, dass er ist. Er ist einfach da. Und genau dort, in der Natur, spürt man diese Dinge, beginnt man zu ahnen, dass das, was wir sehen, vielleicht nicht das ist, was wir wissen.
Mit Hilfe des Spiegels, der Narziss tötete, weil er die vollkommene Gestalt, die er in ihm reflektiert sah, ergreifen und besitzen wollte, kann Sabine die Bewegungen der Äste und Blätter übersetzen. Nicht Zweige und Blätter also, sondern ihre Bewegung, ihr Wesen, ihr Sein, das immer im Einklang mit der Natur steht. Der Spiegel, der diesen Moment eingefangen hat, hält ihn nicht fest, denn seine Oberfläche wird immer etwas anderes reflektieren, zusammen mit den Linien, die auf ihm gezeichnet sind. Die Linien, die Sabines Hand schnell und ohne die Vermittlung des Verstandes gezogen hat, werden sich mit dem Himmel, mit einem Gesicht, mit einer Tür, mit einer Hand, mit allem, was sich in diesem Spiegel widerspiegelt, kreuzen. Die Natur und das Gesicht des Betrachters. Es ist, als ob der Spiegel zu einer Plattform wird, auf der man endlich die Einheit erleben und sehen kann, dieses Zusammensein, ein Eins.
Ein Fenster, bei dem beide Seiten miteinander in Dialog treten. Die Gestaltung auf Glas lässt einen großen Teil der Fläche und des Raums frei. Es gibt keine Planung, der Raum erscheint und ist wie Stille. Er will nicht gefüllt werden. Wie in der Musik. Was wäre eine Sinfonie ohne den Raum zwischen den Noten? Raum zum Atmen. So definiert es Sabine. Raum zum Durchschauen. Raum, um zu reflektieren und reflektiert zu werden.
Und dann verstehen wir, dass es kein Innen und kein Außen gibt, kein Vorher und Nachher, kein Oben und Unten. Sondern dass alles seine eigene visuelle Landschaft im Universum entwirft, dass alles das Universum spiegelt, MIMESIS des ganzen Universums ist. Sabine sagte in einem Interview, dass sie sich nicht auf die Vergänglichkeit, sondern auf die Präsenz konzentrieren will. Ich würde sagen, sie ist sogar darüber hinausgegangen. Sabine kapselt in ihren Linien auf einer Spiegelfläche nicht nur Präsenz, sondern ewiges Werden ein. Der Augenblick und die Ewigkeit.
Ist das nicht ein und dasselbe?
Leila Mebert, Juni 2024