Ansprache von Ignaz Staub anlässlich der Vernissage "Reflections" im KunstKubus Cham vom 22.September 2024
Sabine de Spindler
«Reflections»
Der Wald hat seit jeher Dichter und Denker angezogen. Erinnern Sie sich nur an die erste Strophe des «Abendlieds» von Matthias Claudius: «Der Mond ist aufgegangen/die goldnen Sternlein/prangen am Himmel hell und klar:/Der Wald steht schwarz und schweiget/, und aus den Wiesen steiget/der weisse Nebel wunderbar.»
Oder erinnern Sie sich, passend zum heutigen Tag, ans Gedicht «Septembermorgen» von Eduard Mörike: «Im Nebel ruht noch die Welt,/noch träumen Wald und Wiesen:/Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,/ den blauen Himmel unverstellt,/ herbstkräftig die gedämpfte Welt/in warmem Golde fliessen.»
Doch nicht nur Romantiker fühlen sich vom Wald angezogen. «Ich ging in die Wälder, weil ich bewusst leben wollte. Ich wollte das Dasein auskosten. Ich wollte das Mark des Lebens einsaugen! Und alles fortwerfen», schreibt der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau (1817-1862). Oder: «Und in den Wald gehe ich, um meinen Verstand zu verlieren und meine Seele zu finden», gesteht der schottisch-amerikanische Universalgelehrte John Muir (1874-1914).
Nicht unbekannt ist auch, dass der Wald als Sujet bekannte Maler angezogen hat: Henri Rousseau (1844-1910), Paul Gauguin (1848-1903), Vincent van Gogh (1853-1896), Gustav Klimt (1862-1918), Ludwig Kirchner (1880-1938). Die Liste ist kunsthistorisch gesehen sicher unvollständig und auch fragwürdig, denn sie basiert auf dem Angebot einer Poster-Plattform im Internet, die populäre Leinwaldbilder mit Waldmotiven unter die Leute bringen will.
Bei uns erfreut sich der Wald wieder grösserer Beliebtheit, seit in Japan, dessen Fläche zu 67 Prozent aus Wald besteht, seit Beginn der 1980er-Jahre das Waldbaden, nicht zu verwechseln mit einem Waldbad, praktiziert wird. Wikipedia definiert die Praxis als den «gezielten Aufenthalt von Menschen im Wald zur Verbesserung der Gesundheit oder des Wohlbefindens». Shinrin Yoku, wie Japaner das Waldbaden nennen, soll zu Stressreduktion und zu Milderung von Depressionen führen und sich positiv auf Blutdruck, Herzfrequenz und Immunsystem auswirken.
Falls auch Sie einmal ein gepflegtes Waldbad nehmen möchten und reichlich Geld haben, können sie im Hotel «Dolder Grand» ab 2'412.50 Franken für eine Person im Doppelzimmer Superior in einem «einzigartiges Outdoorsetting» für zwei Tage «Mindful Forest Bathing» und mit eine «Private Outdoor Lektion» geniessen.
Dass Waldbaden Künstlerinnen wie Sabin de Spindler inspiriert, habe ich im Internet noch nirgendwo gefunden. Da ist zwar die Rede vom Entschleunigen durch Schlendern, vom Sitzen auf Baumstämmen, vom Einatmen würziger Waldluft, vom Beobachten von Insekten und Vögeln und vom Sammeln schöner Blätter, Steine oder Waldfrüchte. Doch vom Malen, vom kreativen Umsetzen visueller und emotionaler Eindrücke, ist nichts zu lesen.
Dabei hat Sabine de Spindler seit längerem die Wohltat des Spazierens in der freien Natur für sich entdeckt. Sie sagt, der gleichzeitige Rhythmus des absichtslosen Gehens mit zwangslos herumschweifendem Blick erde und erfülle sie. Der Rhythmus versetze sie in einen Zustand, den sie selbst als schwebend und von höchster Wachsamkeit beschrieben hat.
Ihre Spaziergänge führen die Künstlerin auch in den Wald; sie öffnet die Türen ihres Ateliers und verlegt ihre Kunstwerkstatt in die freie Natur, «damit die visuelle und physische Erfahrung einen noch direkteren Einfluss auf den kreativen Prozess haben können», wie es Philologin und Archäologin Leila Mebert in Artikel «In the Woods» über Sabine de Spindler beschreibt.
Im Wald zeichnet die Künstlerin nicht einfach Bäume, Äste oder Blätter, sondern übersetzt ihre Bewegung, ihr Wesen und ihr Sein in Bilder im Einklang mit der Natur. «Der Spiegel, der diesen Moment eingefangen hat, hält ihn nicht fest», charakterisiert Leila Mebert Sabine de Spindlers künstlerisches Vorgehen, «denn seine Oberfläche wird immer etwas anderes reflektieren, zusammen mit den Linien, die sie auf ihn gezeichnet hat.» Die «Reflections» der Künstlerin erlauben Durchblicke und Einblicke. Sie laden ein zum Nachdenken, zu Reflexionen über die Natur und die Stellung des Menschen in ihr. «Ich sehe die Natur als etwas Leidenschaftliches, Stürmisches, Unheimliches und Dramatisches an wie mein eigenes Ich», sagt unbescheiden Pablo Picasso.
Sabine der Spindler arbeitet mit verschiedenen Materialien und Techniken – Acryl, Kohle, Kreide, Tusche, Spray. Im Fall der «Reflections» im Kubus hat sie ihre Bilder im Wald mit Tusche auf eine Seite Glasplatte gemalt, deren Rückseite sie mit Spiegelspray besprüht, worauf diese hochreflektierend wie ein Spiegelbild erscheint und zur Vorderseite wird.
Nach dem roten Faden ihrer Kunst befragt, sagt die Künstlerin, sie suche Schönheit in allen Bereichen und sehne sich danach – nach Schönheit jedoch, die - obwohl in der Kunstwelt skeptisch beäugt - nicht oberflächlich ist. «Der Spiegel der Natur ist der klarste Spiegel», sagt der russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821-1881): «Ihn muss man schauen, an ihm sich ergötzen.»
Sabine de Spindler, in Cham aufgewachsen und erstberuflich Primar- und Sekundarlehrerin, hat sich künstlerisch in verschiedenen Gattungen weitergebildet. Nach dem Master of Arts in Fachdidaktik Künste hat sie sich neben Malerei auch mit Lithografie, Fotografie und Bildhauerei beschäftigt. Sie war und ist kunstpädagogisch tätig, so etwa als Lehrerin für Bildnerisches Gestalten an der Oberstufe Unterägeri.
Seit ihren ersten Ausstellungen 2012 in der Altstadthalle Zug und ein Jahr in der Ankenwaage hat Sabine de Spindler ihr Werk an mehreren Orten ausgestellt, unter anderem zusammen mit sieben Zuger Künstlerinnen und Künstlern im März 2021 im KunstKubus. Dies im Rahmen der Ausstellung «Zuger Farben» mit dem Bild «Alles hängt mit allem zusammen», für das sie das Pigment «Menzinger Kohle-Anthrazit» verwendet hat. Die Künstlerin ist heute auch in verschiedenen Sammlungen vertreten.
Sabine de Spindler, schreibt Leila Mebert. habe mit ihren Waldbildern den Archetyp Linie zum Leben erweckt und die intellektuelle Bequemlichkeit ihres Ateliers verlassen, um in der Natur zu malen. Was für sie vor allem bedeute, sich überraschen zu lassen, den Verstand auszuschalten und sich den wechselnden Formen und ästhetischen Erfahrungen zu öffnen.
Die Künstlerin, so Mebert, kreiere in der Natur ein Fenster, bei dem beide Seiten in Dialog treten: «Die Gestaltung auf Glas lässt einen grossen Teil der Fläche und des Raums frei. Es gibt keine Planung, der Raum erscheint und ist wie Stille. Er will nicht gefüllt werden.» Die leeren Flächen ihrer «Reflections», sagt Sabine der Spindler selbst, würden Raum zum Atmen und zum Durchschauen schaffen.
«Kunst ist der magische Spiegel, den wir machen, um unsere unsichtbaren Träume in sichtbaren Bildern zu reflektieren», schreibt der Dramatiker George Bernard Shaw (1856-1950): «Wir verwenden einen Glasspiegel, um unser Gesicht zu sehen: Wir brauchen Kunstwerke, um unsere Seele zu sehen.» Mit ihren «Reflections» zeigt uns Sabine de Spindlers im Kubus gezielt solche Werke. Derweil gilt für uns Normalsterbliche, wovor Schriftsteller und Regisseur Jean Cocteau (1889-1963) uns warnt: «Die Spiegel täten gut daran, sich ein wenig zu besinnen, ehe sie die Bilder zurückwerfen.»
Sabine de Spindler
«Reflections»
Der Wald hat seit jeher Dichter und Denker angezogen. Erinnern Sie sich nur an die erste Strophe des «Abendlieds» von Matthias Claudius: «Der Mond ist aufgegangen/die goldnen Sternlein/prangen am Himmel hell und klar:/Der Wald steht schwarz und schweiget/, und aus den Wiesen steiget/der weisse Nebel wunderbar.»
Oder erinnern Sie sich, passend zum heutigen Tag, ans Gedicht «Septembermorgen» von Eduard Mörike: «Im Nebel ruht noch die Welt,/noch träumen Wald und Wiesen:/Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,/ den blauen Himmel unverstellt,/ herbstkräftig die gedämpfte Welt/in warmem Golde fliessen.»
Doch nicht nur Romantiker fühlen sich vom Wald angezogen. «Ich ging in die Wälder, weil ich bewusst leben wollte. Ich wollte das Dasein auskosten. Ich wollte das Mark des Lebens einsaugen! Und alles fortwerfen», schreibt der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau (1817-1862). Oder: «Und in den Wald gehe ich, um meinen Verstand zu verlieren und meine Seele zu finden», gesteht der schottisch-amerikanische Universalgelehrte John Muir (1874-1914).
Nicht unbekannt ist auch, dass der Wald als Sujet bekannte Maler angezogen hat: Henri Rousseau (1844-1910), Paul Gauguin (1848-1903), Vincent van Gogh (1853-1896), Gustav Klimt (1862-1918), Ludwig Kirchner (1880-1938). Die Liste ist kunsthistorisch gesehen sicher unvollständig und auch fragwürdig, denn sie basiert auf dem Angebot einer Poster-Plattform im Internet, die populäre Leinwaldbilder mit Waldmotiven unter die Leute bringen will.
Bei uns erfreut sich der Wald wieder grösserer Beliebtheit, seit in Japan, dessen Fläche zu 67 Prozent aus Wald besteht, seit Beginn der 1980er-Jahre das Waldbaden, nicht zu verwechseln mit einem Waldbad, praktiziert wird. Wikipedia definiert die Praxis als den «gezielten Aufenthalt von Menschen im Wald zur Verbesserung der Gesundheit oder des Wohlbefindens». Shinrin Yoku, wie Japaner das Waldbaden nennen, soll zu Stressreduktion und zu Milderung von Depressionen führen und sich positiv auf Blutdruck, Herzfrequenz und Immunsystem auswirken.
Falls auch Sie einmal ein gepflegtes Waldbad nehmen möchten und reichlich Geld haben, können sie im Hotel «Dolder Grand» ab 2'412.50 Franken für eine Person im Doppelzimmer Superior in einem «einzigartiges Outdoorsetting» für zwei Tage «Mindful Forest Bathing» und mit eine «Private Outdoor Lektion» geniessen.
Dass Waldbaden Künstlerinnen wie Sabin de Spindler inspiriert, habe ich im Internet noch nirgendwo gefunden. Da ist zwar die Rede vom Entschleunigen durch Schlendern, vom Sitzen auf Baumstämmen, vom Einatmen würziger Waldluft, vom Beobachten von Insekten und Vögeln und vom Sammeln schöner Blätter, Steine oder Waldfrüchte. Doch vom Malen, vom kreativen Umsetzen visueller und emotionaler Eindrücke, ist nichts zu lesen.
Dabei hat Sabine de Spindler seit längerem die Wohltat des Spazierens in der freien Natur für sich entdeckt. Sie sagt, der gleichzeitige Rhythmus des absichtslosen Gehens mit zwangslos herumschweifendem Blick erde und erfülle sie. Der Rhythmus versetze sie in einen Zustand, den sie selbst als schwebend und von höchster Wachsamkeit beschrieben hat.
Ihre Spaziergänge führen die Künstlerin auch in den Wald; sie öffnet die Türen ihres Ateliers und verlegt ihre Kunstwerkstatt in die freie Natur, «damit die visuelle und physische Erfahrung einen noch direkteren Einfluss auf den kreativen Prozess haben können», wie es Philologin und Archäologin Leila Mebert in Artikel «In the Woods» über Sabine de Spindler beschreibt.
Im Wald zeichnet die Künstlerin nicht einfach Bäume, Äste oder Blätter, sondern übersetzt ihre Bewegung, ihr Wesen und ihr Sein in Bilder im Einklang mit der Natur. «Der Spiegel, der diesen Moment eingefangen hat, hält ihn nicht fest», charakterisiert Leila Mebert Sabine de Spindlers künstlerisches Vorgehen, «denn seine Oberfläche wird immer etwas anderes reflektieren, zusammen mit den Linien, die sie auf ihn gezeichnet hat.» Die «Reflections» der Künstlerin erlauben Durchblicke und Einblicke. Sie laden ein zum Nachdenken, zu Reflexionen über die Natur und die Stellung des Menschen in ihr. «Ich sehe die Natur als etwas Leidenschaftliches, Stürmisches, Unheimliches und Dramatisches an wie mein eigenes Ich», sagt unbescheiden Pablo Picasso.
Sabine der Spindler arbeitet mit verschiedenen Materialien und Techniken – Acryl, Kohle, Kreide, Tusche, Spray. Im Fall der «Reflections» im Kubus hat sie ihre Bilder im Wald mit Tusche auf eine Seite Glasplatte gemalt, deren Rückseite sie mit Spiegelspray besprüht, worauf diese hochreflektierend wie ein Spiegelbild erscheint und zur Vorderseite wird.
Nach dem roten Faden ihrer Kunst befragt, sagt die Künstlerin, sie suche Schönheit in allen Bereichen und sehne sich danach – nach Schönheit jedoch, die - obwohl in der Kunstwelt skeptisch beäugt - nicht oberflächlich ist. «Der Spiegel der Natur ist der klarste Spiegel», sagt der russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821-1881): «Ihn muss man schauen, an ihm sich ergötzen.»
Sabine de Spindler, in Cham aufgewachsen und erstberuflich Primar- und Sekundarlehrerin, hat sich künstlerisch in verschiedenen Gattungen weitergebildet. Nach dem Master of Arts in Fachdidaktik Künste hat sie sich neben Malerei auch mit Lithografie, Fotografie und Bildhauerei beschäftigt. Sie war und ist kunstpädagogisch tätig, so etwa als Lehrerin für Bildnerisches Gestalten an der Oberstufe Unterägeri.
Seit ihren ersten Ausstellungen 2012 in der Altstadthalle Zug und ein Jahr in der Ankenwaage hat Sabine de Spindler ihr Werk an mehreren Orten ausgestellt, unter anderem zusammen mit sieben Zuger Künstlerinnen und Künstlern im März 2021 im KunstKubus. Dies im Rahmen der Ausstellung «Zuger Farben» mit dem Bild «Alles hängt mit allem zusammen», für das sie das Pigment «Menzinger Kohle-Anthrazit» verwendet hat. Die Künstlerin ist heute auch in verschiedenen Sammlungen vertreten.
Sabine de Spindler, schreibt Leila Mebert. habe mit ihren Waldbildern den Archetyp Linie zum Leben erweckt und die intellektuelle Bequemlichkeit ihres Ateliers verlassen, um in der Natur zu malen. Was für sie vor allem bedeute, sich überraschen zu lassen, den Verstand auszuschalten und sich den wechselnden Formen und ästhetischen Erfahrungen zu öffnen.
Die Künstlerin, so Mebert, kreiere in der Natur ein Fenster, bei dem beide Seiten in Dialog treten: «Die Gestaltung auf Glas lässt einen grossen Teil der Fläche und des Raums frei. Es gibt keine Planung, der Raum erscheint und ist wie Stille. Er will nicht gefüllt werden.» Die leeren Flächen ihrer «Reflections», sagt Sabine der Spindler selbst, würden Raum zum Atmen und zum Durchschauen schaffen.
«Kunst ist der magische Spiegel, den wir machen, um unsere unsichtbaren Träume in sichtbaren Bildern zu reflektieren», schreibt der Dramatiker George Bernard Shaw (1856-1950): «Wir verwenden einen Glasspiegel, um unser Gesicht zu sehen: Wir brauchen Kunstwerke, um unsere Seele zu sehen.» Mit ihren «Reflections» zeigt uns Sabine de Spindlers im Kubus gezielt solche Werke. Derweil gilt für uns Normalsterbliche, wovor Schriftsteller und Regisseur Jean Cocteau (1889-1963) uns warnt: «Die Spiegel täten gut daran, sich ein wenig zu besinnen, ehe sie die Bilder zurückwerfen.»